In sieben Schritten zur Predigt

Vorbemerkung: Meine kleine Predigtwerkstatt entstand aus dem Reflektieren neuerer homiletischer Fachliteratur in einem Lektürekurs im Summer Sabbatical 2006 an der Universität Greifswald (U.Harder) einerseits, der eigenen persönlichen Predigtpraxis andererseits. In sieben Schritten entsprechend den sieben Wochentagen formt sich die Predigt. In jedem Schritt wird ein Aspekt aufbauend auf den anderen bedacht. Jeder Arbeitsschritt wird beschrieben und eine Zielsetzung für ein Arbeitsergebnis wird vorgegeben. Das ist sozusagen die Idealform. In der Realität wird oft nicht ein Schritt konsequent nach dem anderen vollzogen werden, auch wird man vielleicht nicht jeden Tag an der Predigt dran bleiben können. Außerdem können gerade durch ein Vor- und Zurückgehen zwischen den einzelnen Schritten im Entstehungsprozess der Predigt wertvolle Gedanken und Erkenntnisse entstehen. Aber die sieben Arbeitsschritte sind für eine gute Predigt letztlich doch alle zu bedenken und bearbeiten.

O. (Grundsätzliches und Persönliches)

Predigtmotivation: wen und warum predige ich ?

(Vergewisserung)

Ich predige leidenschaftlich gern. Nicht irgendetwas, sondern einen Namen: den Namen Jesus. Jede Predigt ist eine Umschreibung und ein Bekenntnis dieses Namens. Denn in diesem Namen hat Gott sein heilendes und rettendes Handeln an uns zugesagt. Darum ist meine Leidenschaft, diesen Namen zu predigen. In einer Neujahrs-Kantate Bachs (BWV 171) heißt es: „Fort und fort lacht sein Nam‘ in meinem Munde“ oder im Pfingstlied bitten wir: „Lass die Zunge brennen, wenn wir Jesus nennen, führ den Geist empor“ (EG 135,3). Darum beginnt jede Arbeit an der Predigt mit dem Gebet: „Veni Creator Spiritus“ (Komm, Schöpfer Heiliger Geist). Denn nur er kann uns in alle Wahrheit leiten, die im Namen von Jesus verborgen, zugleich offenkundig und deshalb zu predigen ist.

I. (Montag)

Predigtanlass: wem, wann, wo und weshalb predige ich ?

(Situationsanalyse)

Arbeitsschritt: Das Thema der Predigt zwischen Bibel und Gemeinde bedenken
Zielsetzung: Predigttextwahl mit homiletischer Begründung

Wahrnehmen: Was bestimmt die Situation des Gottesdienstes und damit der Predigt ?

  • Prediger: Was bewegt mich selbst zur Zeit? An welchem Thema bin ich innerlich dran?
  • Tagesgespräch: Was liegt am Ort in der Luft? Was bewegt die Menschen hier gerade?
  • Medien: Welche Fragen werfen die Medien zur Zeit auf? Was bestimmt die Meinungsbildung?
  • Gemeinde: Wer genau und wie viele werden voraussichtlich da sein? Was brauchen diese Menschen?
  • Gottesdienst: Was sind die liturgischen Vorgaben? Was geschieht noch im Gottesdienst?
  • Kirchenjahr: Was sieht die Predigtreihenordnung vor? Welchen thematischen Schwerpunkt hat der Gottesdienst?
  • Anlass: Liegt ein besonderer Anlass vor? Ist ein Thema oder Text von daher vorgegeben oder nahe liegend?

Innerlich hören, bedenken und entscheiden:

  • Was liegt davon oben auf?
  • Erscheint etwas vor Gott davon relevant?
  • Legen sich Schwerpunkte nahe?
  • Stellen sich mögliche Bibeltexte für die Predigt ein?
  • Was ist vor Gott von Gott und von ihm her zu bedenken?
  • Was ist mir für die Menschen aufs Herz gelegt?
  • Worüber hätte ich besondere Freude zu predigen ?

Anmerkung: Der Predigttext bestimmt sich nicht automatisch durch die Perikopenordnung, sondern ist im Einzelfall zu finden und zu begründen.

Hilfsmittel: Gottesdienstbuch, liturgische Literatur

II. (Dienstag)

Predigttext: von woher und worauf hin predige ich?

(Exegese)

Arbeitsschritt: Die Wortwirklichkeit des Textes erfassen
Zielsetzung: Eine strukturierte Übersetzung anfertigen

Wahrnehmen:

  • Welche Verstehensschwierigkeiten gibt es?
  • Welche Vorverständnisse gibt es heute? ([selbst-]kritisch zu reflektieren!)
  • Was ist der biblische Kontext?
  • Welche Abgrenzung erscheint sinnvoll?
  • In welchen biblisch-theologischen Zusammenhängen steht der Text?
  • Literaturgeschichtliche Analyse: Form, Redaktion, Überlieferung …
  • Was lässt sich über den Autor, die Empfänger und die Intention des Textes sagen?
  • Wie ist der Inhalt des Textes historisch einzuordnen und zu verstehen?

Erarbeiten: Eine strukturierte Übersetzung

Hilfsmittel: Kommentare, exegetische Literatur

III. (Mittwoch)

Predigtgehalt: worüber und wozu predige ich ?

(Meditation)

Arbeitsschritt: Den Inhalt und die Intention der Predigt „erhören“
Zielsetzung: Ein griffiges und anregendes Thema der Predigt formulieren

Wahrnehmen und reflektieren:

  • Der Predigttext angesichts des Predigers: Was hat der Predigttext mir persönlich zu sagen ? (Persönliche Besinnung)
  • Der Predigttext angesichts der Gemeinde: Welche existentielle Frage der Hörer wird aufgenommen ? (Homiletische Betrachtung)
  • Der Predigttext angesichts des rechtfertigenden Gottes: Absicht der Predigt klären: was will ich mit der Predigt erreichen ? (Theologische Entscheidung)

Ergebnis sichern: Wie lässt sich das zu Predigende thematisch auf den Punkt bringen ? Dies in ein bis drei Sätzen formulieren.

Hilfsmittel: Homiletische Literatur

IV. (Donnerstag)

Predigtidee: womit und wodurch predige ich ?

(Kreativität)

Arbeitsschritt: „Titel und Mittel“ (Martin Nicol) zur Gestaltung der Predigt finden
Zielsetzung: Anregende (Unter-)Titel formulieren und dazugehörige Sinneinheiten skizzieren

Brainstorming: Den Dialog mit der Erfahrungswelt der Hörer suchen, z.B.:

  • Welche „Kon-Texte“, d.h. welche heutigen Texte gibt es, die das Thema der Predigt berühren? (Zeitungsartikel, Gedichte, Geschichten, Romane, Sprichworte, Redewendungen)
  • Stellen sich passende Bilder oder Metaphern ein?
  • Gibt es Ereignisse oder Geschichten, die mit dem Text korrespondieren?
  • Welche erzählerischen Perspektiven zum Text sind möglich?
  • Lassen sich Szenen ausgestalten?
  • usw.

Erfinden:  Formulierungen

  • die den Bibeltext mit der Erfahrungswelt der Predigthörer in Verbindung bringen
  • einen Erkenntnisgewinn versprechen
  • überraschende Einsichten bieten
  • die eingängig und merkbar sind
  • die u.U. geeignet sind, die Predigt zu strukturieren

Hilfsmittel: Predigtbände, Materialsammlung

V. (Freitag)

Predigtentwurf: wie predige ich was ?

(Rhetorik)

Arbeitsschritt: Die Teile und das Ganze in Beziehung setzen (Spannungsbögen gestalten)
Zielsetzung: Ausführliche Disposition (so wenig wie möglich, so viel wie nötig) aufschreiben

Gestalten: Folgerichtige und spannende Anordnung der Predigtelemente

  • Einstieg (Abholen der Zuhörer, Hinführung zum Thema und Text der Predigt)
  • Frage oder Thema der Predigt
  • Die einzelnen Sinneinheiten (Gestaltung und Anordnung)
  • Übergänge der einzelnen Sinneinheiten (Gelenkstellen)
  • Schluss (Zusammenfassung, Zuspitzung)

Hilfsmittel: Mindmapping

Anmerkung: Es ist gut, diesen Predigtentwurf ruhen und sich setzen zu lassen, um ihn sich mit einer zeitlichen Distanz noch einmal kritisch vorzunehmen:

VI. (Samstag)

Predigtverantwortung: was predige ich wie ?

(Revision)

Arbeitsschritt: Den Predigtentwurf konkretisieren und korrigieren
Zielsetzung: Die Predigt ausformulieren und aneignen

Überdenken und Prüfen des Predigtentwurfs auf:

  • Redundanz und Klarheit
  • vermutliche Länge der Predigt
  • Homiletische Zielsicherheit
  • Liebe zu den Hörern und Humor
  • Detailgenauigkeit und Richtigkeit
  • Sprachliche Stimmigkeit
  • Theologische Richtigkeit (Gesetz und Evangelium)
  • Kritische Empathie

Ausformulieren und einprägen durch wiederholtes Lesen und Durchdenken

VII. (Sonntag)

Predigt: als wer predige ich ?

(Präsenz)

Arbeitsschritt: Halten der Predigt als berufener Verkündiger des Wortes Gottes
Zielsetzung: Befreites Reden im Vertrauen auf Gottes Geistesgegenwart

Predigen:

  • In der Erwartungshaltung, dass Gott selbst durch mich spricht (Gebet)
  • Den Predigtinhalt (im Gedächtnis) präsent habend
  • Frei sprechend
  • Hörer wahrnehmend und evtl. darauf reagierend
  • Zupackend, liebevoll und mutig
  • Ein gutes, schnelles Ende findend

Nach der Predigt:

  • Inneres Loslassen: Gott überlassen, was er bei den Hörern daraus macht (Gebet)
  • Eventuelle positive oder negative Reaktionen wahr- und annehmen, sich aber Zeit geben, sie in Ruhe zu reflektieren und daraus zu lernen
  • Selbst glauben und befolgen, was man gepredigt hat